
Weitblick ĂŒber Sindelfingen
Es war einmal ein weites, lebendiges Tal mit dem Namen Sindelfingen. In ihm lebte eine groĂe Herde â rund 60.000 Schafe, die miteinander arbeiteten, lernten, lebten. Und wie jede gute Herde, brauchte auch diese einen Hirten, der sie mit Umsicht und Herz begleitete.
Der bisherige Hirte war abgetreten, und nun galt es, einen neuen zu wÀhlen.
Zwei MĂ€nner stellten sich vor:
Der eine war jung, klug und voller Tatendrang. Er hatte sich mit Engagement in kleinere Gruppen eingebracht und ein Team von rund 30 Personen um sich geschart, das ihn unterstĂŒtzte. Manche verglichen es mit einer kleinen Herde, die er versuchte, in Bewegung zu bringen. Und obwohl nicht alle in seiner NĂ€he blieben â zwei hatten sich inzwischen sogar dem anderen Hirten angeschlossen â sah man ihm an, dass er mit Ăberzeugung angetreten war.
Der andere war Ă€lter, erfahren, geerdet. Er hatte bereits eine Herde von ĂŒber 8.000 Schafen in einem Nachbartal gefĂŒhrt â keine einfache Aufgabe, aber eine, die er mit Geduld, Ruhe und wachsamem Blick gemeistert hatte. Seine Schafe vertrauten ihm. Er war keiner, der viel Aufsehen machte â aber wenn er sprach, hörte man zu, und wenn er fĂŒhrte, dann war er sichtbar â vor Ort, im GesprĂ€ch, mittendrin.
Die Herde von Sindelfingen war aufgewĂŒhlt.
âDer Junge bringt frischen Wind!â, riefen einige.
âDer Ăltere kennt den Weg durch Nebel und Sturmâ, sagten andere.
Und dann stellte sich die einfache Frage:
Wem wĂŒrdest du eine Herde mit 60.000 Schafen anvertrauen?
Dem, der mit Ideen ĂŒberzeugt, aber den Weg mit der groĂen Herde noch nicht gegangen ist?
Oder dem, der bereits Tag fĂŒr Tag mit vielen Schafen unterwegs war, den Jahreskreis kennt und die leisen Töne genauso wie die klaren Ansagen beherrscht?
Die Antwort liegt nicht allein im Alter.
Nicht in der LautstÀrke.
Nicht im Stil.
Sondern in der Frage: Wer versteht sich als Hirte? Wer dient der Herde â und nicht sich selbst?
Die Schafe blickten zum Horizont.
Der Weg war offen.
Am Sonntag wird gewÀhlt.
đł Ein persönliches Wort:
Als SchĂ€fer weiĂ ich, wie viel Verantwortung, Beziehung und Erfahrung es braucht, um einer groĂen Herde gerecht zu werden.
Diese kleine Fabel ist mein Weg, eine Sichtweise einzubringen â mit Respekt fĂŒr beide Kandidaten, aber mit einer klaren Hoffnung:
Dass die Herde einem guten Hirten folgen möge.

Sehr geehrter Herr Spindler,
mit wachsendem Erstaunen und, offen gesagt, mit erheblichem Befremden las ich Ihren Artikel âWem vertraust du deine Herde an?â zur OberbĂŒrgermeisterwahl in Sindelfingen. Dass ein politischer Diskurs in eine derart pastoral-anachronistische Fabel mĂŒndet, ist bereits ein sprachlicher wie intellektueller Offenbarungseid â doch was hier als Allegorie verkauft wird, offenbart vielmehr ein erschreckendes MaĂ an RealitĂ€tsferne und Herablassung gegenĂŒber dem SouverĂ€n.
Wie kommt man auf den abwegigen Gedanken, die BĂŒrgerinnen und BĂŒrger einer modernen, urbanen und pluralistischen Stadtgesellschaft mit einer Herde Schafe gleichzusetzen? MĂŒndige Wahlberechtigte sind keine willenlosen Herdentiere, die blind einem Leitschaf oder gar einem selbsternannten SchĂ€fer folgen. Im Gegenteil: Sie sind die TrĂ€ger demokratischer Legitimation, ausgestattet mit Urteilskraft, Erfahrung und â so sollte man hoffen â der FĂ€higkeit zur eigenstĂ€ndigen Entscheidung. Ein BĂŒrgermeister ist, entgegen der naiven Idylle des SchĂ€ferdaseins, weder Pastor noch Oberhirte, sondern Manager, Vordenker, Moderator, Krisenmanager und Gestalter im Dienste einer komplexen, diversen Stadt.
Die AnmaĂung, damit den MaĂstab fĂŒr FĂŒhrungsqualitĂ€t und Verantwortung setzen zu wollen, grenzt an RealitĂ€tsverweigerung. Jeder, der je Verantwortung fĂŒr ein vielschichtiges System trug â sei es in Politik, Wirtschaft oder Verwaltung â weiĂ, dass der Vergleich von kommunaler FĂŒhrung mit Schafzucht weder analytisch tragfĂ€hig noch demokratietheoretisch haltbar ist.
Dies ist nicht nur eine Frechheit, sondern offenbart ein zutiefst anti-demokratisches Menschenbild: Der Versuch, die BĂŒrgerschaft derart zu diskreditieren, ist ein Affront gegen das demokratische GrundverstĂ€ndnis und sollte jeden aufrechten Demokraten alarmieren.
Fazit: Wer politische FĂŒhrung in solch pastorale Gleichnisse kleidet, zeigt nicht nur mangelnden Respekt vor den BĂŒrgern, sondern dokumentiert auch, dass ihm das VerstĂ€ndnis fĂŒr die Herausforderungen moderner Stadtgesellschaften und die WĂŒrde des Amtes fehlt. Es wĂ€re an der Zeit, den Wahlkampf auf das Terrain der Sachargumente, Konzepte und Zukunftsvisionen zurĂŒckzufĂŒhren â anstatt weiter in der Weide der PlattitĂŒden und billigen Metaphern zu grasen.
Mit nachdenklichen GrĂŒĂen
Sehr geehrter Herr Peter Fish,
„Herde oder Haltung â ein Nachklang zur kleinen Fabel“
Die kleine Fabel ĂŒber die Herde von Sindelfingen hat Aufmerksamkeit erregt â und das ist gut so. Fabeln polarisieren. Sie vereinfachen, um zuzuspitzen. Sie nutzen Bilder, um zum Denken anzuregen. Wer sie wörtlich nimmt, verfehlt oft ihre Absicht.
NatĂŒrlich sind die BĂŒrgerinnen und BĂŒrger von Sindelfingen keine Schafe. Sie sind kluge, selbstbestimmte Menschen mit eigenen Wegen, Hoffnungen und Entscheidungen. Gerade deshalb verdienen sie eine Wahl, die sich nicht nur um Programme dreht, sondern auch um Haltungen, um Werte, um FĂŒhrungsverstĂ€ndnis.
Die Frage bleibt: Wollen wir jemanden, der fĂŒhren kann, ohne sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen? Der nicht nur managt, sondern auch zuhört, vermittelt, gestaltet â und dem die Menschen wichtig sind, nicht nur die Zahlen?
Ich danke allen, die sich auf die Fabel eingelassen haben â kritisch, nachdenklich oder auch ablehnend. Demokratie lebt vom Austausch, auch von Reibung. Vielleicht liegt der Wert einer Fabel gerade darin, dass sie aufrĂŒttelt â auch wenn nicht jede Reaktion freundlich ausfĂ€llt.
Am Ende zÀhlt nur eines: Dass wir mit Respekt miteinander umgehen. Und mit Klarheit die wÀhlen, die unser Vertrauen verdienen.
Am Sonntag ist Wahl. Und das ist gut so.